Vertical Farming

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Carolyn
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Vertical Farming

Beitrag von Carolyn » Di Aug 21, 2012 17:45

Gestern bin ich bei Pro Sieben über einen Beitrag zum Thema "vertical farming" in - ich glaube - Südkorea gestolpert. Es ging darum, dass die landwirtschaftlichen Flächen schrumpfen und viele Nahrungsmittel eingeführt werden müssen. Um dem entgegen zu wirken werden Hochhäuser als Gewächshäuser konzipiert, teils mit einer Art Pater-noster-Aufzug, um natürliches Licht zu nutzen.

Für Problemfälle wie die Versorgung z.B. in Megastädten und dicht besiedelten Gebieten eine überdenkenswerte Idee. Was mich jedoch geschockt hat war, dass es als "bio" bezeichnet wird! Der Strom für Beleuchtung und Computer wird mit Solarzellen erzeugt, die Temperatur mit Erdwärme geregelt und das Wasser zu 100% recycelt, ein geschlossener Kreislauf. Da außerdem auf strengste Hygiene geachtet wird gibt es keine Schädlinge und damit keinen Bedarf an giftigen Spritzmitteln. Formal gesehen also irgendwie "bio" - aber alles andere als natürlich.

Möchtet ihr Bio-Gemüse aus einer derart künstlichen Kultur kaufen/essen? Da wird der Bio-Gedanke ad absurdum geführt! Und da frage sich noch jemand, warum ich das Etikett "Bio" nicht sonderlich mag... :roll:
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Re: Vertical Farming

Beitrag von Mia » Di Aug 21, 2012 22:27

Hallo Carolyn, :smile:

ich habe schon vor einiger Zeit darüber gelesen und war folglich schon vor einiger Zeit entsetzt. "Meine" Objekte standen aber, glaube ich, in Abu Dhabi (mit Fotos und Zeichnungen) und in irgendwelchen chinesischen Großstädten (ohne Fotos, wohl noch im Entwurf). Mich interessesiert eigentlich nicht, ob die Leute dort das als "Bio" bezeichnen. Eine Tomate unter völlig sterilen Bedingungen in keimfreien Nährsubstrat gezogen, wäre nach dieser Lesart auch "biologisch". Ob diese SUPER-BIO-Tomate nun schmeckt, gesund ist, oder vielleicht auch ungesund, sind andere Fragen. Schwierig wird es, wenn das dortige Gemüse dann hier als "biologisch" in den Handel kommt... Das sehe ich aber augenblicklich noch nicht.

Der skurrile(?) Gedanke, der sich mir damals beim Lesen aufdrängte, war folgender: Was machen die Leute eigentlich, wenn sie für ihr Nutzvieh (Rinder, Schafe, Schweine, Hühner, Enten, etc.) keinen Platz mehr auf dem Boden haben? Werden die dann auch in Hochhäusern gezüchtet? Vermutlich, gell? Die Entwürfe dazu gibt es sicherlich schon. Von der Geburt (nach künstlicher Befruchtung) bis zur Schlachtung, wird das Rind im Hochhaus leben, vielleicht auf künstlich angelegter Wiese, mit leicht schattiertem Himmel unter echter Sonne. Die Etagen werden nach oben halt immer kleiner, so dass jede "Zuchtetage" einen Teil echten Lichteinfall hat, wo dann "echte" Kräuter und Wiesenblumen wachsen. Deshalb wird das auch "Biofleisch", nicht wahr? Daneben ist die Haltung der Tiere keimfrei. Und von jeder Zuchtetage wird es sterile Schächte geben, in denen die Einzelteile nach der Schlachtung in die "Zerteilungsetage" fallen. Danach in die "Fleischreifungsetage", wo die feineren Teile eine Zeit abhängen dürfen, während die weniger edeln, wie Knochen, Fett und Pansen, breits tiefer durchfallen: in die "Verarbeitungsetage". Die ist im ersten Stock. Nur noch einmal wandern die Teile herab, diesmal aber auf sanften Fließbändern, denn sie sind bereits verpackt. Was oben noch muhte, verlässt das Hochhaus zum einen als Konservendose (verkochte Reste), weitestgehend aber in Form von silbern verpackter TK-Ware. Denn was so edel und kostenintensiv großgezogen wurde, hat seinen Preis auf dem Weltmarkt!
Die ettikierten Beutel wandern sanft in Tiefkühlcontainer und werden mit ihnen in alle Welt verschickt.

Opa Neo-Lucien wird dann Weihnachten 2046 glücklich zu seiner Familie sagen: "Am ersten Feiertag essen wir das super leckere T-bonesteak aus Abu Dhabi! Hab soeben die bebilderte mail über unser persönliches Paket bekommen, mit Fotos von dem Rind. Ist das nicht ein Prachtbursche? - Argentinien? Weites Grasland? Das war einmal! Die bauen jetzt auch diese Zuchthochhäuser! Da weiss man schließlich was man hat!"

Bitte verzeiht mir diese negative Utopie.
Mia
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Re: Vertical Farming

Beitrag von friederike » Di Aug 21, 2012 23:59

Hallo ihr beiden,

Ich hatte das bisher noch nicht gehoert oder gesehen (TV) aber ich finde es klingt interessant! Das etikett "Bio" mal dahin gestellt - schliesslich gehoert dazu eben nicht oekologisch oder allumfassend wie ich mich auf einem bio hof belehren lassen musste.

Die Idee traegt doch aber immerhin zur loesung der Nahrunganbaus-knappheit dazu. Es ist doch ein eine tatsache, das wir unserem Planeten entwachsen. Lieber so, als mit noch mehr gift und duenger den boden weiterhin zu vergiften um noch intensiver anzubauen oder gar gentechnik!
Wir haben uns ziemlich tiefgruendig mit dem Aquaponics beschaeftigt, das ist auch sehr intensiver anbau auf kleinster flaeche unter kuenstlichen (also zumindestens geregelten ) bedingungen, loest aber in bestimmten teilen der Welt das bewaesserungsproblem.

Ich finde solche GWHochhaeuser welche von erneuerbaren energien betrieben werden und das natuerliche licht nutzen auf jeden fall besser, als zb der kartoffelanbau in der Wueste (Aegypten, dazu habe ich mal ein TV beitrag gesehen), wo kartoffeln im sand aungebaut werden und mit wasser aus tiefgruendigne reserven, welcher nicht erneuerbar sind, bewaessert werden. Diese Kartoffel gibt es hier im spaetwinter im supermarkt zu kaufen! Der Anbauer macht schweinige profite und denkt, nach sich die sintflut (oder besser duerrheit)

Also, ob ich diese lebensmittel kaufen wuerde, weiss ich nicht, aber in aller verzweifelung haben wir schon alle mal hollaendische tomaten und gurken im winter gekauft, das ist meiner meinung nach genauso problematisch, wenn nicht sogar noch mehr, da meist die enrgiebilanzen doch so schlecht sind!

Am besten schmeckts natuerlich vom garten! :grin:
Friederike
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Re: Vertical Farming

Beitrag von Carolyn » Mi Aug 22, 2012 01:16

Mia, Du bist mit Deinen Visionen bereits der Zeit hinterher und es ist auch räumlich nicht weit weg. ;) Ein Zitat aus dem obigen Link zu Wikipedia:
Im Jahr 2003 sollte das Deltapark-Projekt in Rotterdam realisiert werden. Grundidee hierzu war der Import von Futtermitteln aus Übersee, welcher direkt in Hafennähe in eine Kreislaufwirtschaft für Tier-und Pflanzenproduktion eingeschleust werden sollten.[18] Ein 1000×400 Meter großer mehrgeschossiger Gebäudekomplex mit einer Windkraftanlage zur Energieerzeugung auf dem Dach. Die 5. bis 7. Etage waren als Gewächshäuser vorgesehen und deren Abfallprodukte für die Tierproduktion und Mast. In der 4. Etage sollten Champignons in Abwesenheit von Sonnenlicht gezüchtet werden, in der 1. bis 3. Etage Schweinemast und intensive Hühnerhaltung. Das Erdgeschoss war für die Schlachtereien und Verladestationen vorgesehen, hier sollten auch die importierten Futtermittel aus den Silos in die Mastställe transportiert werden. Im Kellergeschoss sollten Fischbassins für die Aquakultur angelegt werden, Schlachtabfälle als Futter verwendet werden. Schweinegülle und Hühnermist sollten zu organischen Pflanzendünger verarbeitet werden und das von den Tieren ausgeatmete Kohlendioxid für die Anreicherung der Umgebungsluft in den Gewächshäusern. Die Abwärme der Tiere und das aus dem Schweinemist gewonnene Biogas sollte den Gebäudekomplex mit Wärmeenergie versorgen. Die Realisierung dieses Projektes scheiterte am Widerstand der Bevölkerung gegen diese Form der industrialisierten Landwirtschaft.
Ja, friederike, es IST ein Lösungsansatz für Nahrungsmittelknappheit, das habe ich ja durchaus eingeräumt. Ich finde es immer noch nicht den besten Weg, aber nicht verwerflich, es gehorcht halt schlichtweg der Not und die macht bekanntlich erfinderisch.
Aber der Grundgedanke hinter biologischer Landwirtschaft wird hier völlig mißbraucht! Du und ich wissen, dass bio eben nicht ökologisch oder natürlich heißt, aber wir sind uns doch einig, dass es das sein sollte, oder? Es ist (noch eine) Verschleierungstaktik (mehr), die das Etikett "bio" (noch) wertlos(er) macht.
Bis zu dieser Aussage fand ich die Idee durchaus interessant (und ich hatte den selben Beitrag in Teilen schon früher mal gesehen), aber das mit triumphierender Stimme als "bio" anzupreisen ist der pure Hohn! Muss man denn auch den Restwert des Bio-Siegels noch vernichten?
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Re: Vertical Farming

Beitrag von friederike » Sa Aug 25, 2012 21:54

Das stimmt Carolyne, vollkommen!
gerade heute haben wir ueber den wert des "BIO" siegels diskutiert, seit die vielen supermarkt eigen bio marken aufgetaucht sind, ist es wohl eher in den verruf geraten, da tw in diesen produkten mehr zusatzstoffe sind als in nicht BIO. BIO ist bekannter und zugaenglicher geworden aber wird eben auch zu kommerziellen zwecken ausgenutzt.
Alles eine Frage der Interpretation, so wird das auch sein mit den GWHochhaeusern.
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Re: Vertical Farming

Beitrag von fiddler » Di Sep 25, 2012 21:59

Immer wieder wird die angebliche Nahrungsknappheit heran gezogen, um die industrielle Lnadwirtschaft zu rechtfertigen und noch weitere Technologien gesellschaftsfähig zu machen. Und es ist ja auch unbestritten, das in großen teilen der Welt viele Menschen nicht genug zu essen haben.
Aber warum ist das so? Weil die Flächen knapp werden, weil nicht genug angebaut wird? In den USA (gerade erst gelesen) würden 60% der erzeugten Nahrungsmittel weggeworfen, in Deutschland immerhin 40%! Das passiert in Läden (der Backstand muß ja bis zur letzten Minute sein vollen Angebot haben, am nächsten Tag verkauft sich das aber nicht mehr, Obst muß makellos aussehen und so weiter), aber auch in den Haushalten, weil viele Menschen nicht mehr gelernt haben planvoll einzukaufen, Reste kreativ zu verwerten - oder einfach, weil Lebensmittel so billig sind.

Aber: in den Ländern, in denen Hunger herrscht, liegt das in der Regel auch nicht an zu wenig Fläche. Es liegt auch nicht wirklich an Dürre oder Überschwemmung. Es liegt an marodierenden Milizen, an Politikern, die lieber ihre eigene Tasche füllen (und die ihrer Clans) als für das Wohlergehen des Volkes zu sorgen, es liegt an Firmen, die als Monopolisten auftreten und gewachsene Strukturen zerstören. Es liegt an industriellen Fischfangschiffen, die 60% Beifang wieder verklappen, weil es nicht die gewünschte Fischart ist oder (noch perverser!) weil das Kontingent für diese Art ausgeschöpft ist und sie deshalb nicht angelandet werden darf. Der kleine Fischer mit seinem Boot hätte nahezu alles verwertet.

Es wird meiner Ansicht nach nicht gelingen, mit Hochhausgewächshäusern den Hunger zu bekämpfen, im Gegenteil. So etwas können sich wieder nur die reichen Länder und die Monopolisten leisten - mit den bekannten Folgen. Den Hunger bekämpft man eher mit gut bewirtschafteten Biogärten, arbeitsintensiv, aber ertragreich und ressourcenökonomisch. Die Chinesen haben das jahrhundertelang so gemacht!

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