Hallo in die liebe Runde,
so, jetzt erzähle ich von mir etwas weiter.
Warum ich das Haus verkauft habe und umgezogen bin, habe ich ja schon geschrieben. Es macht keinen Spaß, wenn man von seinem Nachbarn mit anonymen Anzeigen verfolgt wird.
Und man kann sich ja noch nicht mal richtig wehren!
Der sagt: der Hund bellt! Ich sage: klar bellt der Hund, aber im normalen Rahmen!
Er sagt: der Hund bellt nachts! Ich sage: nachts schlafe ich!
Er gibt an, ich würde den Hund vernachlässigen, da er ja so übermäßig bellt! Ich würde mich einfach nicht genügend um ihn kümmern!
ICH!!!!! Na, da sind dann andere Nachbarn zum Ordnungsamt marschiert und haben mich verteidigt! Unter anderem eine Frau, die im Tierschutz arbeitet und dort ihren entsprechenden Ausweis vorlegte. Also, wenn dieser Hund vernachlässig würde, wäre sie doch die Erste, die mich angezeigt hätte! Tatsächlich gingen wir aber nahezu jeden Tag gemeinsam mit Hunden spazieren. Meiner sei absolut sozial verträglich, körperlich und seelisch sehr gut dabei, und er würde auch genügend laufen!
Aber es gab ja noch den Herrn Marten ( Name geändert), den hiesigen, städtischen Hundewart.
Der wird auch Denunziatoren- Marten genannt, denn er geht von Haus zu Haus, klingelt, spricht mit Leuten, und versucht auf diese Weise rauszukriegen, wer mal seinen Hund auf dem Friedhof unerlaubt laufen ließ oder noch keine Hundesteuer bezahlt hat. Seine Lieblingsformulierung ist: "Und ALLE Ihre Nachbarn haben das gesagt!"
Den Kerl kannte ich anfangs nicht, und seine Lieblingsformulierung ebensowenig: "ALLE haben das gesagt!" Dieser Text hat mich anfangs sehr verunsichert.
Aber ich bin mit den Anzeigen offen umgegangen, habe sie kopiert und in der Nachbarschaft herumgezeigt. Da regten sich einige auf und gingen für mich "schnüffeln". Sie sprachen hier, sie sprachen dort, schwätzten etwas beim Bäcker und beim Frisör, und bald stand fest, der Anzeigengeber konnte nur mein direkter Nachbar sein.
Und dann hatte ich keine Lust mehr!
Das konnte ja ewig so weitergehen, mit immer neuen Anschuldigungen!
Also, Haus verkauft. Punkt. Habe auch ein finanzielles Plus gemacht.
Neues Haus wollte ich erstmal nicht kaufen, fand auch nichts entsprechendes.
Ich bin im Ort umgezogen, in ein Gammelhaus.
Ach, das ist gar nicht schlecht. Wegen Erbstreitereien wurde sich nur über die Jahre lange nicht um das Haus gekümmert. Optisch hat es also etwas gelitten. Also, das Balkongeländer ist oben rott, der vordere Hof wirkte ungepflegt. Als ich anrief, waren die Erbstreitigkeiten gerade zwei Monate geregelt, und die Besitzerin wollte jetzt etwas an dem Haus tun.
Es ist ein altes, großes Bauernhaus, gemauert aus roten Backsteinen, seit zig Jahren aufgeteilt in vier Wohnungen, von denen drei über lange Jahre leerstanden.
Ich hatte dieses Haus immer schon im Augenmerk, denn fast täglich bin ich mit dem Hund daran vorbeigegangen.
Was es für mich so besonders machte, war ein großer Wintergarten, aus dunklem Holz, der zum vorderen Hof hinausgeht. Das sah einfach zauberhaft aus! Und ich dachte die ganze Zeit: hier sollte mal ein Freund oder eine Freundin von mir wohnen! - Dass ich es einmal selbst sein würde, daran habe ich nicht gedacht.
Vorher hatte ich auch noch ein "Superhaus" zur Miete, auf das ich mich völlig 'eingeschossen'' hatte.
Einfamilienhaus, auch aus rotem Klinker, Baujahr 1999, alles neu, extrem gepflegt, großer, gepflegter Garten, im Keller eine Sauna, ein Kaminzimmer...
Es bestand die Option, es eventuell später zu kaufen.
Als ich den Mietvertrag unterschreiben sollte ( ich hatte mit den jungen Leuten verhandelt), tauchte die alte Mutter auf, der das Haus gehörte. Da ihr Mann vor sechs Monaten gestorben war, konnte sie diesen Haustraum ihres Lebens nicht mehr halten, und wohnte nun nahe nebenan in einer Zweizimmerwohnung. Gebückt, mit Tränen in den Augen, und fortwährend um mich herum staubsaugend und feudelnd, erklärte sie mir jedenfalls, wie ich ihr Haus zu behandeln haben habe. Wann ich die Fenster zu putzen habe, wie ich zu lüften habe, wie ich Türen vor eventuellen Kratzern des Hundes zu schützten habe, und dass ich im Badezimmer einen Lappen vor die Dusche zu legen habe, damit die Fliesen nicht nass würden...
Als sie mir dann eine dreiseitige Hausordnung überreichte -- habe ich den Mietvertrag NICHT unterschrieben.
So. Und damit stand ich auf der Straße. Denn ich hatte mein Haus verkauft, und ich MUSSTE ausziehen!
Also habe bei dem Haus mit dem Wintergarten angerufen.
Jetzt schleppe ich ja auch noch meinen jüngeren Sohn mit mir herum.
Der hätte in dem 'Superhaus' zwei schöne, auch helle Räume im Souterrain beziehen können.
Und nun?
Die Wohnung mit dem Wintergarten entpuppte sich für mich als zu klein.
Aber oben waren ja noch zwei Wohnungen frei! Die mit dem kaputten Balkongitter, befand sich gerade in der Phase der absoluten Grundrenovierung: alle Tapeten waren abgekratzt.
In der anderen oberen Wohnung war man schon weiter: Zum Teil war frisch tapeziert, und alle Türen und Holzstreben ( gibt da auch so umbaute Türen, mit Glasfenstern obendrüber) waren fein lichtgrau lackiert. Die Böden, ein hochwertiges Laminat, fast schon wie Parkett, waren völlig in Ordnung. Bis auf im Bad und in der Küche, da liegt billiges Zeug.
Ein rascher Durchgang, und für den Sohn und mich stand fest: Wir nehmen beide Wohnungen!
Er die kleine unten, mit dem Wintergarten, und ich die große oben.
So. Jetzt habe ich also eine Traumwohnung. Anders kann man es nicht nennen. Mit 120 Quadratmetern ist sie für mich eigentlich viel zu groß. Anfangs habe ich mich in dieser Wohnung verlaufen. Die Wohnung zeichnet die atmosphärische Qualität eines alten Hauses aus: viele Fenster sind oben halbrund gemauert, was sie bezaubernd macht, dazu diese schönen Holzwerke...
In dieser Wohnung kann ich das Licht wandern sehen. Früh um sechs scheint die Sonne von Osten in das erste Wohnzimmerfenster, wandert mittags weiter ins zweite, geht um die Ecke und bescheint ab zwei mein Arbeitszimmer, ab drei meine Küche und das erste Fenster meines Schlafzimmers. Geht wieder um die Ecke, bescheint das zweite Schlafzimmerfenster von Westen gegen fünf, bescheint das Bad und mein Näh- und Bastelzimmer, und dort bleibt sie, bis sie untergeht. Traumhaft! In der Mitte der Wohnung ist ein großer Flur- viel zu groß!- ein im Prinzip völlig sinnloser Raum. Sechs Türen gehen davon ab! Was soll man damit nur machen?
Ich habe da einen runden Singletisch hingestellt, und einen Korbsessel. Das Ganze ist begleitet von einer alten belgischen ( geschnitzten) Garderobe und einem hohen Spiegel.
In der Mitte des viereckigen Flures hängt ein alter Kronleuchter.
Eigentlich sieht das jetzt rattenscharf aus!
Na, und dann lasse ich alle Türen auf, so dass die Sonne immer und überall hin scheint.
Also, ich bin mit dieser Wohnung total glücklich.
Es wird aber nur ein Übergangsquartier sein. Vielleicht bleibe ich ein Jahr, vielleicht zwei.
Miete und Nebenkosten sind moderat.
Natürlich gehört eine Garage dazu, Dachboden, Keller, und -- ein Garten.
Der war völlig rott. Eine riesige Fichte war bei einem der letztjährigen Stürme mittig abgebrochen und hatte den komplett blockiert. Mein Sohn fasste sich ein Herz, zersägte das Teil und machte ihn so wieder zugänglich. Wir haben mit einem Anhänger schon viel weggeschafft, aber es liegt immer noch zu viel Astzeug herum, was ich jetzt nach und nach in die grüne Tonne packe.
Mir ist die Lust auf Garten im Augenblick ziemlich vergangen. Sicher auch, weil ich weiß, dass ich nicht hierbleiben werde.
Natürlich habe ich aus meinem alten Garten die schönsten meiner Stauden gerettet, auch schon zum Teil eingepflanzt, zum Teil stehen sie noch in Kübeln.
Dieser Garten ist halbschattig. Das Licht wird bestimmt durch den großen Rest der uralten Fichte und einer alten, großen Esche, die aber im Garten des Nachbarn wächst.
Dieser Garten ist kein 'Sonnenkind', der Boden ist leicht sauer.
Würde ich mich darauf einlassen, würde ich vermutlich Rhododendren und Azaleen pflanzen, Strauchpäonien, Heidelbeeren, Kamelien...
Bis jetzt lasse ich mich noch nicht ein.
Was sicher ist: ich werde an der sonnigsten Stelle ein Hochbeet haben, denn auf etwas Gemüse und Salate möchte ich nicht verzichten.
Mal gucken, wo ich die preisgünstigen Bretter für das Hochbeet herbekomme...
Der Garten ist nicht sonderlich groß, vielleicht 350 Quadratmeter. Er ist komplett eingezäunt, so dass der Hund darin laufen kann.
Sein Bellen stört hier im Haus nicht.
Unten im Haus wohnt noch ein Mann mit seinem jugendlichen Sohn, der hatte bis vor kurzem zwei Hunde. Also, die nehmen meinen Hund einfach ganz normal an.
Staunen muss ich aber doch über den Flur. Der ist so alt und schäbig, man! Sagt mal, wart Ihr schon mal in einem uralten Hotel in Paris? Oder in Barcelona? In einem Hotel, mit diesen schmiedeeisernen Gitteraufzügen? So wackelige Kästen, die sich, von der Conciererce unten betrieben, mit Schnauben und Klappern hochächzen?
Nun, der Aufzug fehlt hier, alles andere stimmt.
Die schmalen Treppenstufen sind uraltes Holz, dunkelbraun gestrichen, begleitet von einem selbstverständlich gedrechseltem Geländer, ebenfalls dunkelbraun. Die enge Treppe quält sich da altersmüde zwei Stockwerke hoch, und wie in Barcelona oder Paris, hat irgendein Idiot den unteren Teil der Wände mit einem gelben Lack angestrichen, damit man Handabdrücke der Benutzer leicht fortwaschen kann. Die seltsamen alten Lampen sind so, dass sie jeweils nur den oberen Teil des Flures beleuchten, während man mit den Füßen im mittleren Dämmer tappt.
Unten gibt es regelrechte Briefkastenzeilen, in die Wand eingelassen, wo heutzutage kein Postbote von außen mehr drankommt. In der letzten Kriegszeit müssen hier viel, viel mehr Menschen gewohnt haben, als es jetzt Wohnungen gibt!
Ich war erst so stinkig über diesen Flur, dass ich die Besitzerin bat, ihn sofort zu renovieren, wenn ich da einziehen sollte. Alles weiß! Licht rein! Neue Lampen!
Will sie wohl auch machen. Demnächst.
Aber: in den letzten Tagen habe ich den Charme dieses Flurs mitbekommen.
Auf einmal erschien es mir, als sei ich wirklich in Paris oder Barcelona, und oben wohnt eine kokainabhängige Sängerin.
Der Flur hat was!
Ich weiß gar nicht mehr, ob man das zerstören darf, oder ob man es nicht irgendwie retten sollte. Der Flur hat einen leicht morbiden, schäbigen Charakter. Er atmet Geschichte.
Ich weiß noch nicht, wie man damit umgehen soll.
Ich meine, weiße Flure mit hellen Lampen hat ja jedes Industrieunternehmen...
So verbleibe ich heute mit lieben Grüßen an Euch,
und vielleicht besuche ich ja auch die kokainabhängige Sängerin.
Oder den Maler von oben, oder den ganz alten Mann, der abends immer Geige spielt.
Nein, natürlich existieren diese Leute nicht, aber der alte Flur mit seinen eingelassenen Briefkästen gibt sie mir ein.
Mia