Dass zu wenige Menschen in Deutschland in der Pflege arbeiten ( oder bald wieder ausscheiden), liegt nicht unbedingt daran, dass sie sich nicht dem Tod oder dem Sterben auseinandersetzen wollen.
Es liegt
a) an den Arbeitsbedingungen - davon gleich mehr
b) an den Ausbildungsbedingungen, bzw. den geforderten Qualifikationen.
Ich fange mit a) an.
In einem GUTEN Heim, ist Krankheit und Sterben kein Problem.
Die Menschen dort DÜRFEN erkranken, jederzeit wird, wenn es nötig erscheint, ein Arzt gerufen, das medizinische Personal ( Medischwestern/Medipfleger) sind gut ausgebildet, sie sehen, wenn sich zum Beispiel ein Dekubitus bildet, wenn sich Zehen wegen Diabetes schmerzhaft entzünden - und können mit ihren Mitteln Hilfe leisten.
Die Pflegerinnen haben ZEIT, sich um die Kranken zu kümmern, haben Zeit, sich deren Sorgen anzuhören, haben Zeit, am Körper der Patienten Schwachstellen zu entdecken
( Durchblutungsstörungen im Bein, schmerzhafte Muskelkrämpfe, entzündete Zehennägel, schmerzende Druckstellen unter Zahnprothesen, durch Ohrenschmalz verstopfte Gehörgänge, beim Waschen Ausfluss aus den Geschlechtsorganen, etc.)
So betreut, können Menschen dort gut sterben - sie werden liebevoll betreut, gefüttert, sorgfältig getränkt und gewaschen - bis sie gehen.
In einem in Deutschland inzwischen 'normalen' Heim, kommen die Medischwestern und deren männliche Pedants, die Medipfleger, - zum Teil aus Zeitgründen- NUR noch zum Tablettengeben! Sie nehmen nicht mehr hellwach teil an den Erkrankungen der Bewohner!
( Ich habe in 'meinem' Heim, wo ich arbeitete, diesen Wechsel sehr bewusst erlebt. Auch in den Heimen, in denen ich meine Mutter immer mal zur Kurzzeitpflege unterbrachte.)
Ärzte dürfen NUR nach Zustimmung der Heimleitung gerufen werden, und solange die noch nicht "rot" sieht, können die besorgten Pflegerinnen erzählen was sie wollen.
So wurde vor dem Tod meiner Mutter, in dem Heim, wo sie zur REHA war, eine Lungenentzündung übersehen! Ihre nun - plötzlich - auftretende körperliche Schwäche wurde ihrem Alter zugeschrieben!
Für jene Pflegerinnen, die sich jeden Tag liebevoll kümmern, ist ihr eigener Zeitmangel natürlich ein Horror! Die sensibleren spüren, dass sie die Anforderungen, die sie ehrlich an sich selber stellen, unter diesen Bedingungen NICHT erfüllen können. Tiefer Frust macht sich breit.
Die weniger sensiblen haken dann das Sterben unter ihren Händen ab mit Sätzen wie: "Na, 86 ist doch ein schönes Alter! - Reicht doch, wenn der Arzt kommt, wenn der Kerl/ die Frau tot ist!" - Diese sind gut im Verdrängen.
Das sind aber häufig diejenigen, die sich als erste über ihre Arbeitsbedingungen beklagen. Wir haben hier einen dreiteiligen Schichtdienst. Und weil immer wieder Leute ausfallen, kann es sein, dass man 3 mal hintereinander Nachtdienst hat, und dann sofort wieder Frühdienst, OHNE auch nur einen Tag Pause dazwischen.
(Auch das kenne ich aus 'meinem' Heim.)
Sowas geht echt auf die Knochen - und auf die Seele!
Kein Wunder, das viele Pflegerinnen nicht gerne lange bleiben.
Kommen wir zu Punkt b):
Bis ungefähr zur Jahrtausendwende, wurden noch einfache, ganz normale Frauen, die sich um eine Stelle bewarben, in Pflegeheimen angestellt. Sie wurden angelernt und arbeiteten dann dort als Pflegehelferinnen.Bei einer Vollzeitstelle waren das dann 1200 - 1400 Euro netto, das ist ja nicht zu verachten. Und, ich meine, eine ältere Frau, die zwei Kinder großgezogen hat, die ihren alten Vater betreute, warum soll die nicht da arbeiten können?
Dies wurde aber inzwischen verboten!
Pflegehelferinnen sollen eine Qualifikation besitzen!
Eine einjährige ( weitgehend schulische) Ausbildung ist Pflicht! Da kommen aber nur jüngere Leute rein, weil die Älteren die Maßgaben nicht mehr erfüllen.
Die jüngeren, die kommen, werden aber zunächst in Heimen zu einem Niedriglohn verheizt.
In 'meinem' Heim begannen die mit 9,20 Euro die Stunde, um im nächsten Jahr und dem übernächsten etwas 'hochklettern' zu können. Dass das keine gute Lust macht, beim Schichtdienst und der zum Teil auch körperlich sehr anstrengenden Pflege, liegt auf der Hand.
Zudem musste man die Ausbildung bis heute selbst bezahlen. Das soll aber jetzt geändert werden.
Um die Heime zu entlasten, wurde etwa auch um die Jahrtausendwende, ein Programm für "Betreuungskräfte" staatlich subventioniert. Grundausbildung: 3 Monate bis ein Jahr.
Halb schulisch, halb durch Praktika, Abschlussprüfung nach staatlichen Leistungsvorgaben.
Das waren keine Pflegekräfte, sondern die sollten mit den Bewohnern basteln, spielen, spazierengehen, was weiß ich. Die sollten den Bereich abdecken, den die Pflegerinnen in einem Heim nicht mehr leisten konnten.
Nun, das Gegenteil wurde in Heimen daraus. Ich selber habe so eine einjährige Ausbildung gemacht, und kann folglich von mir und all meinen Kommilitoninnen berichten.
ALLE von uns wurden in Heimen sofort auch zur tätigen Pflege herbeigezogen.
Bei einem extrem niedrigen Lohn.
Und nun: die Leute mit der 3 monatigen Ausbildung werden schon lange nicht mehr eingestellt, denn inzwischen wurden die Bedingungen verschärft. Selbst von mir, die ich ein einjähriges Ding mit einer Note von 1,2 abschloss, erwartete man hier, dass ich jährlich zwei Fortbildungen besuchte, die mich weiterbringen sollten. Witzig: die werden im Kreis Höxter aber gar nicht angeboten. ( Gottseidank bin ich da aber trotzdem rausgekommen.... ich konnte die Zeit im Heim und mein gutes Zeugnis dort geltend machen.
)
Kurz und klein: die Regierung hat sich mit den staatlich finanzierten Betreuungskräften einen Bock geschossen!
Die Betreuungskräfte werden in Heimen als Pflegerinnen missbraucht, weil dort Pflegekräfte fehlen, sie können aber nicht nachwachsen, weil die Bedingungen zum Weiterkommen zu hart geworden sind.
Minilohn- und gleichzeitig Pflegeaufgaben, okay? Dabei aber keinerlei Kompetenz, um zum Beispiel einen Arzt zu rufen.
Wer will das schon über etwas längere Zeit machen?
Mia