Ja, Ihr habt recht, Carolyn und Rita,
ich glaube auch: es ist der Unterscheid zwischen Stadt und Land. Für mich ist es umgekehrt etwas wie ein Kulturschock, hier zu sein.
Denn selbst als ich fast 30 Jahre in jener kleinen Stadt im Bergischen wohnte, war die doch so nah an den Metropolen des Ruhrgebiets, oder auch an Köln, war nah an diversen Unis, so dass viele Professoren dort lebten, auch ein paar "Promis" -- also, das war von der Atmosphäre kein Land - obwohl Felder drumherum waren - sondern eher ein intellektuell gehobenes Ding. Ich weiß noch, wie überrascht mein Lizenznehmer aus der Großstadt war, auf der relativ kleinen Hauptstraße sieben hochkarätige "Leckerrestaurants ( neben fünf halbwegs normalen) zu finden, die an einem simplen Dienstagabend alle bis auf den letzten Platz besetzt waren. Der musste mit seiner Tasche voller Geld richtig suchen, um irgendwo noch einen Sitzplatz zu finden. - Und das fehlt mir hier natürlich. Und alles fußläufig!
In den letzten Jahren in Dortmund hat es mir schon gefehlt, aber da konnte man in meinem Vorort zumindest noch einen Griechen finden, einen Chinesen, zig schlechte Italiener. Also, man fand abends etwas. -- Hier gibt es gar nichts, wenn man nicht mit dem Auto fährt. Und gerade abends würde ich gerne fußläufig irgendwo nett auf der Terrasse sitzen und eine ansprechende Kleinigkeit essen und trinken. Drei große Krabben, frisch in Olivenöl gebraten, würden mir ja schon reichen, mit einer winzigen, leckeren Salatbeilage. Oder etwas gebackener Schafskäse in Speck gewickelt, umgeben von frischen Kräutern, in einer Honigmarinade... Die nette Wirtin Ute aus dem Daseburger Hof kommt mit Rührei, Backofenpommes, und aus dem Frost aufgebratenen Schnitzeln daher...
Also, ich bin leider fürchterlich verleckert und verwöhnt. Und hielt das über 30 Jahre für normal!
Der Standart in meinem alten Ort ist auch deshalb so gestiegen, weil er über lange, lange Jahrzehnte das einzige Drei-Sterne-Restaurant weit und breit hatte. Mit Hotel. Da reiste das gesamte Ruhrgebiet an. Aber die, die anreisten, die Bonzen und Oberen, die konnten natürlich auch zahlen. Morgens gingen die Herren dann golfen. Dabei waren die, die dieses Drei-Sterne-Ding betrieben, völlig einfache Leute. Ich habe sie noch persönlich kennengelernt, bevor das Unternehmen Ende der 80ziger Jahre schließen musste. Wegen des Strukturwandels im Ruhrgebiet, waren viele Zechen und die großen Zechenzulieferer geschlossen worden, also "Kohle und Stahl" kamen da nicht mehr hin zum Abendbrot, mit ihren ausländischen Besuchern und ihren Managementgilden, wie sie es seit der Nachkriegszeit getan hatten. Das alte Publikum war weggebrochen und das neue brauchte nicht mehr die elitäre Kombi aus Drei-Sterneküche, Hotel und Golfplatz. Vielleicht haben die Betreiber sich auch nicht genügend weiterentwickelt, denn 7 Kilometer weiter, gedeihen zwei dieser Nobeldinger ( ohne Drei Sterne, aber lecker, und durchaus erschwinglich) in Kombination mit Hotel und Golfplatz immer noch. Da reisen jetzt auch Scheichs an.
Also, das war schon ein recht elitäres Viertel, und deshalb konnte ich mir auch kein Haus dort kaufen. Obwohl ich es gerne gewollt hätte. Aber für den doppelten Preis, mit dem ich hier ein Haus gekauft habe, hätte ich dort eine Drei-Zimmer-Dachgeschosswohnung bekommen, und die auch nur unrenoviert und nach langem Suchen. Ergibt: Ich hätte mir das gar nicht leisten können!
Naja, dann muss ich mir halt die Krabben selber braten! Und das tue ich jetzt. Mit Knoblauch, in Olivenöl. Guten Hunger!
Aber so sind halt auch die Menschen anders. In dieser kleinen Stadt im Bergischen, das war eine Atmosphäre von Freiheit und Intellektualität. Auch die Kinder waren frei, sie waren gut erzogen, zwar sehr behütet, aber dennoch frei. Sie lernten früh sehr vieles.
Für die 10 jährigen Mädels dort war es nahezu normal, einen Tastschreibkurs zu besuchen, damit sie anständig am Computer mit 10 Fingern tippen konnten. Viele Türken oder ausländische Menschen gab es nicht, und wenn, dann gab es jede Menge Initiativen, die sie unterstützten.
In Dortmund hingegen spürte man die Armut. Die Menschen unterschieden sich schon rein körperlich von den Bewohnern meiner ersten kleinen Stadt. Wie viele ältere Leute waren hier körperlich aus den Fugen gegangen und schleppten sich, unter billiger Kleidung, mit allen möglichen offenbar unbehandelten Gebrechen herum. Die Kinder waren toll! Die Grundschule war ja direkt ein Stück neben unserem Haus. Die Kinder waren frei, viel weniger gekümmert als im Bergischen, sie mussten halt ihren Tag irgendwie selbst strukturieren. Das machte, dass die, wie früher wir Kinder auch ( ich auch) , auf der Straße und im Feld spielten. Die Eltern arbeiteten beide, oder falls es nur einen Elternteil gab, und das war eher die Regel, arbeitete der auch. Bei manchen gab es noch eine Großmutter, wo sie hingehen konnten, falls sie sich das Knie aufgeschlagen hatten, aber viele hatten nachmittags auch NIEMANDEN.
Ich habe vorher nie so viel Betaisodonna und Heftpflaster verbraucht, wie in meiner Zeit in Dortmund.
War klar, als einmal durch war, dass ich für alle möglichen inneren und äußeren Verletzungen Beistand leistete, dass viele kamen. Die dann auch im Garten und auf dem Dachboden spielten. Und Bilder malten. Und bastelten. Ich fand das toll. Ich habe sie sehr geliebt.
Na, und hier im Dorf, ist alles wieder ganz anders. Die Kinder sind - für mich - extrem behütet, und sehr im Dorf eingebunden. Jeder kennt jeden und jeder weiß, wo welches Kind sich gerade aufhält und mit wem. Jeder kennt auch die Großeltern und Tanten und Onkel des jeweiligen Kindes, und sobald es irgendwo auftaucht, wird auch gefragt: 'Wie geht es denn dem Opa Soundso und der Tante Sonstwie?' Und wenn jemand stirbt, ist es klar, dass die Kinder zur Beerdigung mitmüssen! Sich drücken wird nicht geduldet.
Das hätte mal den Dortmunder Straßengören passieren sollen, die hätten sich schiefgelacht!
Die Menschen hier sind gut genährt und relativ wohlgestaltet. Sie sind nicht reich, aber überall spürt man einen durchgehenden mittleren Wohlstand.
Ich finde es ganz interessant, diese drei Gruppen für mich mal zu vergleichen. Bochum war Dortmund sehr ähnlich, aber angenehm gehobener als Dortmund.
Dorf - das ist mir erstmal völlig fremd. Und doch ist da etwas, was mich sehr verbindet. Ich habe irgendwo hier erzählt, dass meine Großeltern väterlicherseits aus dieser Region kommen. Ich habe noch starke Kindheitserinnerungen an den Hof meiner Urgroßeltern - hier! Manchmal habe ich das Gefühl, es ist wie "nach Hause" kommen. Ich betrachte dann die freundlichen, breiten Bauernhäuser, die alle irgendwie nach Schwein reichen, ich sauge dann die Luft ein - und bin glücklich!
Und wenn mich dann wieder eine junge Frau fragt: "Ja, wie hat es Sie denn nur vom Ruhrgebiet in das langweilige Daseburg verschlagen?", dann denke ich: Mädchen/Frau, du weisst gar nicht, wie glücklich ihr euch schätzen dürft! Ihr lebt hier in einem Paradies, in dem man nachts die Sterne noch sieht! Ihr lebt hier in einer noch guten Natur und in einem starken Verbund zwischen Menschen! Beides haben die Metropolen zu Gunsten ihres raschfliessenden Lebens geopfert. Ihr lebt hier eigentlich noch ein bisschen in einem guten Hobbitland, möge es ewig andauern! -- Und ICH lebe jetzt hier auch.
Lieben Gruß,
Mia